20.01.09

Tageszeitungen im Überlebenskampf – und wie sie es angehen. Am Beispiel der NZZ.

In der letzten Ausgabe von 2008 hatte die NZZ «an unsere Leserschaft» mitgeteilt, dass die Zeitungsstruktur verändert werde, Untertitel: «Neue Beilagenarchitektur – stärkere crossmediale Zusammenarbeit».

«Crossmediale Zusammenarbeit»: Obschon ziemlich modisch, klingts doch danach, als ob die NZZ die Zeichen der Zeit erkannt hätte.

Aber wie man inzwischen zu sehen bekommen hat, schrumpft die gedruckte NZZ lediglich ihre Spezialbeilagen beträchtlich und verschiebt sie – schwer auffindbar – irgendwohin ins Blatt oder streicht sie ganz (so das fast immer vorzüglich gewesene «Dossier» zu ausgewählten Themen).
Eine «crossmediale Zusammenarbeit» erschliesst sich in der gedruckten Ausgabe sozusagen nirgends. Im Gegenteil:

Im Zeitungsbund «Börsen und Märkte» erscheinen wie eh und je die Tabellen-Wüsten mit ihren x-hundert Kursen von Aktien, Obligationen, Optionen und anderen Finanztiteln aus aller Welt – natürlich jeweils mit ihren Schlusskursen vom Vortag. Das sind ganze zehn Zeitungsseiten, nach den zwei bereits schon im «Ausland»-Bund platzierten, wahrscheinlich bezahlten Seiten über Anlagefonds und -stiftungen. Inzwischen ist «Börsen und Märkte» mit diesen Tableaus sogar zum physisch umfangreichsten Teil des Blattes aufgestiegen; entsprechend schmalbrüstig kommt die NZZ jeweils montags daher, wenn keine Vortageskurse zu verkünden sind.
«Crossmediale» Frage: Welcher interessierte Investor schaut denn heutzutage noch in der gedruckten NZZ die Kurse von Wertpapieren nach, wenn er diese Information (und noch weit mehr, nämlich Perioden, Verläufe, Charts und viele weitere Details) früher und schneller mit ein paar wenigen Mausklicks auf einer der inzwischen hoch entwickelten Finanzplattformen im Internet finden kann – bei Bedarf sogar «just in time» und in jedem Fall nicht erst einen Tag später?

Magersüchtig ist dafür der Zeitungsbund «Schweiz» geworden. Von einem «Bund» kann da schon kaum mehr die Rede sein, denn oft umfasst dieser Inland-Teil gerade noch vier Zeitungsseiten, und nicht einmal alle davon sind redaktioneller Natur.

Ein weiteres Fragezeichen hinterlassen die in der NZZ abgedruckten Fernseh- und Radioprogramme. In der Wochenendausgabe sind das zwei Zeitungsseiten, und sie sind nur spärlich mit Tipps garniert. (Nun ja, der «Tages Anzeiger» opfert hierfür sogar noch viel mehr Papier.)
Es wäre schon interessant zu wissen, welche Fernsehzuschauer den Teletext mit der Programm-Vorschau des jeweiligen Senders noch nicht entdeckt haben, und welche Radio-Afficionados unter den NZZ-Lesern sich keine spezifische Programmzeitschrift leisten können.

Und wenn wir schon dabei sind: Die NZZ beglückt im Zürcher Regionalbund ihre Leser auch noch jeden Freitag mit fast einer Seite «Gottesdienste – Kirchliche Veranstaltungen». (Auch hier schafft der «Tages Anzeiger» mehr als das Doppelte an Umfang.)
Die Religionsgemeinschaften haben doch ihre eigenen Medien für solche Informationen. Man kann sich zum Beispiel nur wundern, wer unter der NZZ-Leserschaft wissen möchte, wann genau der (zufällig herausgepickte) äthiopisch-orthodoxe Sonntagsgottesdienst der Tewahedo-Kirche beginnt. Ob das vielleicht ab und an ein Hotel-Receptionist in Erfahrung bringen muss?

Es gab eine Zeit, da ist die NZZ dreimal täglich erschienen: morgens, mittags, abends. Tageszeitungen waren damals die einzigen News-Quellen neben den Nachrichten und dem «Echo der Zeit» des «Landessenders Beomünster». Aber damals gab es kein Internet, keinen Teletext, keine privaten Fernseh- und Radiostationen, keine Pendler-Blätter ... Tempi passati.


Jetzt baut die NZZ ab. Aber wie es halt scheint: am falschen Ort.

Denn im Unterschied zu früher haben zunehmend mehr Zeitungsleserinnen und ‑leser ihren News-Bedarf bereits mittels Teletext, Internet, Handy-WAP oder Pendler-Blättern gedeckt, bevor sie die NZZ aufschlagen, was sogar immer öfter mal auch erst am Abend zu Hause erfolgt.
Sie brauchen nicht mehr die jetzt zum Anachronismus verkommene Flut veralteter Daten oder scheinbarer News, die anderswo bereits früher, leichter und besser zu holen waren, sondern möchten schlicht intellektuelle Unterstützung beim Einordnen, Verstehen, Interpretieren der Daten und News, die sie bereits kennen, mit einer Ausleuchtung von deren Hintergründen.

Und das wäre dann ja auch Crossmedia.
Andernfalls geht das Sterben von Qualitäts-Tageszeitungen wie der NZZ weiter. (Details siehe → WEMF.)

Nachtrag 1 (15.02.09)
«Ihre Meinung interessiert uns», schreibt Chefredaktor Markus Spillmann am 13.02.09 «an unsere Leserschaft» und lädt dazu ein, sich am (von Publicom durchgeführten) → Leserpanel zu beteiligen. Die erste Online-Umfrage wird Anfang März stattfinden.