14.02.09

Organspender gesucht · Teil I
In der Schweiz: amtlich, trocken
und ziemlich erfolglos.

Die Schweiz belegt in der europäischen Statistik der (verstorbenen) Organspender seit Jahren einen der allerhintersten Plätze mit gerade mal 10,7 Spenden pro Million Einwohner (p.m.p.) im Jahr:

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Quelle 1 [Quellenangaben  unten]: Europarat (Rot-Auszeichnung von Filou)

Am 1. Juli 2007 ist das Transplantationsgesetz von 2004 in Kraft getreten, an dem seit 2001 Bundesrat und Parlament gearbeitet haben. Es ist das erste Bundesgesetz der Schweiz zu diesem Thema.

Anzumerken ist, dass das Gesetz ein bisschen halbherzig ausgefallen ist, weil in der Schweiz nun nämlich nur denjenigen Verstorbenen Organe entnommen werden dürfen, die mit einer Spendenkarte (oder deren Angehörige) ausdrücklich zugestimmt haben; «(erweiterte) Zustimmungslösung» genannt. Eine vergleichbare Regelung haben auch Dänemark, Deutschland, Griechenland, Grossbritannien, Serbien, Niederlande, Rumänien, Türkei, Weissrussland.
Demgegenüber gibt es die «(erweiterte) Widerspruchslösung», wonach allen Verstorbenen Organe entnommen werden dürfen, sofern keine Dokumente von ihnen (oder Aussagen der Angehörigen) vorliegen, in denen dies ausdrücklich untersagt wird. Diese Regelung gilt unter anderem in Luxemburg, Österreich, Polen, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn – was die zum Teil erhöhten p.m.p.-Werte einiger dieser Länder erklärt.

Das Bundesamt für Gesundheit hatte nun keine bessere Idee, als 2007 einige Artikel des neuen Gesetzes an die Plakatwände zu kleben:

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Als 20-sekündiger TV-Spot wird den Zuschauern der Artikel 8 des Gesetzes nochmals vor Augen geführt, hinterlegt von einer stocknüchternen Nachrichtenstimme, die dazu auffordert, sich zu informieren.

2008 wird nachgedoppelt mit reichlich kryptischen Ich-Ich-Du-Plakaten und einem gleichermassen rätselhaften 20-Sekunden-TV-Spot:

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Und was hat das gebracht? Wen wunderts: so gut wie nichts.

Zwar schreibt Swisstransplant in ihrem Statistik-Bericht für 2008: «Die Zahlen von 2008 mit insgesamt 90 Leichenspendern (11,8 Spender pro Million Einwohner), ein Plus von 12.5% im Vergleich zum Vorjahr, lässt die Hoffnung aufkommen, dass der negative Trend der letzten zwei Jahre zumindest gestoppt werden konnte» (Quelle 2 [Quellenangaben unten]), aber angesichts der aufwändigen bundesamtlichen Informationskampagne ist ein Anstieg von 10,7 auf 11,8 p.m.p. mehr als kläglich und vermutlich bloss eine statistisch nicht relevante Schwankung.
Hingegen heisst es dort weiter: «Mit einer Zunahme um 12,6% auf 1544 Patienten im 2008 ist die Warteliste so gross wie noch nie zuvor. Damit bestätigt sich leider auch die erhöhte Sterberate auf der Warteliste der letzten Jahre mit aktuell 62 verstorbenen Patienten, gegenüber 50 im Vorjahr (+24,0%).»
Mit anderen Worten: Mehr Patienten denn je sind gestorben, weil sie nicht rechtzeitig ein Spendenorgan erhalten konnten. Und die Schweiz reiht sich weiterhin unter den Organspender-Schlusslichtern ein.

Die Schweizer Medien haben diese Ende Januar 2009 von Swisstransplant publizierten Daten übrigens entweder gar nicht oder dann nur so nebenbei weiterverbreitet – obschon es sich doch um alarmierende Fakten handelt. Aber wahrscheinlich hatte sie niemand so richtig darauf aufmerksam gemacht. Swisstransplant machte Public ohne Relations sozusagen.

Swisstransplant heisst die Schweizerische Nationale Stiftung für Organspende und Transplantation. Schon ihr esoterisch anmutendes Mystery-Logo irritiert; man kann nur ahnen, dass sich darin viel Tiefsinn verbirgt, aber Emotion stellt sich beim Betrachten halt keine ein.
Auf der im übrigen dürftig bestückten → Website listet Swisstransplant ihre Aufgabe kurz und knapp so auf:
  • Nationale Organzuteilungsstelle
  • Koordination der Transplantations- und Spendeaktivitäten in der Schweiz
  • Information und Sensibilisierung der Öffentlichkeit und des Spitalpersonals
  • Archivieren und Erstellen von Statistiken
  • Förderung der internationalen Zusammenarbeit

  • Merke: Information und Sensibilisierung der Öffentlichkeit, das hiesse Sensibilisierung in der Wahrnehmung: Steigerung der Reaktionsbereitschaft und psychische Sensibilisierung: gesteigerte Empfindungsfähigkeit, höhere Empfindsamkeit.

    Eine schöne Aufgabe, aber wo bleibt ihre mutige und kraftvolle Umsetzung?

    Abgesehen von den paar spitzfindigen Diskutanten, die sich weiterhin an der Frage ereifern, ob der Hirntod tatsächlich das finale Ende sei, und abgesehen von der Inbrunst einiger religiöser Extremisten, die sich nur ganzheitlich in ihr Jenseits transferiert sehen wollen: Dass nach ihrem Tod ihre Organspende ein anderes Leben retten könnte, dafür wären bestimmt viele Schweizerinnen und Schweizer zu begeistern und zu gewinnen.
    Man müsste es ihnen bloss ergreifend genug nahebringen. Andernorts geht das ja auch (und ausnahmsweise sei das hier mal aufgezeigt, siehe Teil II).



    Quellen:
    1 - Europarat: Transplant Newsletter Vol.13 No.1, September 2008
    (Europäische und internationale Transplantations-Statistik 2007, English)
    → PDF
    2 - Swisstransplant: Preliminary Statistics 2008
    (Schweizer Transplantations-Statistik 2008, Deutsch)
    PDF

    Organspender gesucht · Teil II
    In Schottland und in den
    Niederlanden: engagiert, emotional
    und äusserst erfolgreich.


    Schottland:

    Der von der renommierten schottischen Werbe- und Medienagentur → «The Union Advertising Agency» kreierte TV-Spot «Kill Jill» (der Titel lehnt sich an das filmische Gewalt-Epos «Kill Bill» von Quentin Tarantino an) hat 2008 in Schottland zu beträchtlichem Aufruhr geführt. Bei der britischen Werbeaufsichtsbehörde ASA («Advertising Standards Autority») gingen mehrere Klagen ein, und die schottische Regierung wurde aufgefordert, den Spot zu verbieten. Das Gesicht des Mädchens namens Jill hat sich den Schotten jedoch eingeprägt:

    Off-Stimme, übersetzt: «Möchten Sie es Ihren Organen erlauben, ein Leben zu retten? Sie haben 20 Sekunden, um dies zu entscheiden. — Jill killen, Ja oder Nein? Falls Nein: Registrieren Sie sich und retten Sie ein Leben!»

    Die ASA verfügte lediglich, dass dieser Spot nicht in Kinderprogrammen gezeigt werden dürfe, um die kleinen Zuschauer nicht zu verschrecken. Und die schottische Regierung zeigte Rückgrat, indem sie das umstrittene Mittel mit dem vornehmen Zweck heiligte: 108’000 Spenderinnen und Spender aus Schottland hätten sich nämlich ins zentrale britische Spendenregister eingetragen (etwas, das der Schweiz übrigens fehlt), womit die Spendeneinträge aus dem restlichen Grossbritannien gleich um 300% übertroffen worden seien.

    Niederlande:

    Entrüstung gab es 2007 auch in den Niederlanden schon bei der Ankündigung dieser «Reality Show» durch den TV-Sender BNN: Drei nierenkranke Menschen zwischen 18 und 40 Jahren würden auftreten und auf die Spendenorgane der 37-jährigen unheilbar krebskranken Lisa hoffen, die nicht mehr lange zu leben habe. Wer von den dreien Lisas Nieren bekommen solle, würden die Zuschauer entscheiden und könnten am Ende der Sendung per SMS darüber abstimmen.

    Noch bevor diese Sendung ausgestrahlt wurde, musste sich bereits das niederländische Parlament damit befassen; und eine gerichtliche Verbotsklage wurde abgewiesen.

    1,2 Millionen Menschen haben sich die Show dann angesehen (N.B.: zweitbeste BNN-Einschaltquote aller Zeiten!) – die aber ein Bluff war, wie erst kurz vor Schluss klargestellt wurde:
    Das Ganze war inszeniert. Zwar waren die drei Patientinnen und Patienten tatsächlich nierenkrank, wussten aber, worum es bei der Show ging, nur die angeblich krebskranke Lisa war eine kerngesunde Schauspielerin. Aber schon während der Sendung hatten sich 12’000 Menschen an eine Spendennummer gewandt, um sich als Organspender anzumelden.

    Obwohl es auch hier aus konservativen Kreisen Kritik hagelte, lobten die niederländische Regierung und der Verband der niederländischen Nierenpatienten die aussergewöhnliche Sendung, weil es ihr gelungen sei, der Bevölkerung das Problem hautnah aufzuzeigen.

    Fazit:

    Für Schweizer Verhältnisse sind das schottische und das niederländische Beispiel wahrscheinlich doch etwas zu heftig. Dennoch könnten das Bundesamt für Gesundheit und Swisstransplant emotionaler und damit entschieden wirkungsvoller kommunizieren. Statt auf die Plakatwände dröge Gesetzestexte und geheimnisvolle Botschaften zu kleben – nur so als Ideen-Skizze (wenn es denn schon Plakate sein sollen):

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    P.S.
    Filou trägt natürlich eine Organspenden-Karte auf sich. Und dies nicht erst seit gestern.