04.10.11

Swissfruit, Swissmedic et al.

Eigentlich ist es durchaus verständlich, dass in einem Staat mit vier Landessprachen linguistisch oft nach einem gemeinsamen Nenner gesucht wird, um Positionierungen zu schärfen. Immer häufiger wird dabei in der Schweiz auf eine fünfte Sprache zurückgegriffen, auf das Englische nämlich. Ab und zu geht das ganz ordentlich in die Hose.

Die kreativ geschälten Kartoffeln in den TV-Spots mit dem Absender kartoffeln.ch gefielen mir auf Anhieb. Irgendwann habe ich dann mal die Web­site besucht und dort gelesen, dass die Bran­chen­organisation der Kartoffelwirtschaft in Wirklichkeit swisspatat heisst. Originell, nicht? Denn im Süden Hollands heissen die Erdäpfel tat­sächlich patats und angeblich im Kreolischen ebenfalls.

Dass sich der 1911 gegründete Schweizer Obstverband (SOV) mit dem Label Swissfruit ziert, drängt sich dem TV-Publikum auf. Es soll auch Swissmilk trinken, findet die Organisation der Schweizer Milchprodu­zenten (SMP).
Bis 2002 existierte auch die Swiss Dairy Food. Möglicherweise ist sie gescheitert, weil landesweit praktisch kein Mensch wusste, was das Wort «dairy» bedeutet. Milchwirtschaftsnahrungsmittel: doofer gehts ja gar nicht mehr.

Jedenfalls scheint selbst bei Firmen, die vorwiegend oder ausschliess­lich den schweizerischen Binnenmarkt bedienen, das Attribut «Swiss», gekoppelt mit einem anderen englischen Wort, eine zentrale Rolle zu spielen.
Da gibts zum Beispiel die Swissmint, die der eidgenössischen Finanzverwaltung unter­stellte Münzenprägeanstalt, die mit 18 Perso­nen dafür sorgt, dass in der Schweiz immer genügend Kleingeld zirkuliert (ca. 17’000 t sind es im Moment). Es wäre nicht abwegig, bei swissmint.ch einen Verband der Schweizer Pfefferminzpastillen-Hersteller zu vermuten; aber dem ist eben nicht so.

Interessant ist auch → swissferret.ch, eine Website, die sich auf sympathische Weise an Frettchenliebhaber wendet. Aber das wirft natürlich die Frage auf, ob sich das «swiss» auf exportfähige Schweizer Frettchen bezieht oder auf die Nationalität der Sitenutzer. Die Domain­namen swissdog und swisscat sind jedenfalls noch erhältlich.

Die URL → swisssecurity.ch hats mir auch angetan. Dort wollte ich mich informieren, wie es um die Sicherheit in der Schweiz ganz allgemein steht, aber es handelt sich um eine Firma, die z.B. anlässlich der Bechtelisparty in der Konvikthalle Frauenfeld für Ruhe und Ordnung sorgt und nebst «AGB’s» mit Apo­stroph auch einen CEO hat. Eine englische Version der Website gibt es nicht.

Das vom lateinischen medicus abgeleitete englische Wort medic be­zeichnet (etwas salopp, zugegeben) einen praktizierenden Arzt oder einen Medizinstudenten. Die paramedics sind geschulte Leute (in der Regel aber ohne Ärztepatent), die etwa unterwegs zur Notfallaufnahme in Ambulanzen lebensrettende Massnahmen einleiten und auch Defi­brillatoren bedienen können. Medics sind also keine Pillen, sondern Menschen.
Umso erstaunlicher ist es, dass sich das Schweizerische Heilmittel­institut «swissmedic» nennt. Irgend­wie ist das eine Fehlleistung, wie damals die noch von der PTT eingeführte Taxcard, die einem in der Telefonkabine das lästige Suchen nach (schon damals von der Swissmint geprägten) Münzen erspart. Der Namensgeber war sich vielleicht nicht vollends bewusst, dass Engländer und Amerikaner automatisch eine Assoziation mit der Steuer­behörde herstellen.

Tief blicken lässt auch die URL → swiss-german-club.ch, denn sie ver­deutlicht, dass den Schweizern und Deutschen tatsächlich die gemein­same Sprache fehlen muss. Und so ist es naheliegend, in der URL vorsorglich mal auf Englisch zurückzugreifen, damit gleich sämtliche Klarheiten beseitigt werden.

Noch eine Notiz zum Kürzel CEO, das bei swisssecurity hängenblieb: Früher gab es ja Direktoren oder sogar Generaldirektoren. Sie bezogen nur selten goldene Fallschirme (ich kenne zwar einen: einen Volldepp mit Vornamen Heinz) oder Boni und ihre Firmen hatten Personal­abteilungen. Das ist natürlich längst völlig anders heute. Ich wette, dass die Krankenkassenprämien unter anderem deswegen stetig steigen, weil die Bezüge der CEOs und COOs und CFOs ins Astrono­mische gehen. Aber immerhin können wir uns darauf verlassen, dass es wie bei den ungemein florierenden Grossbanken die besten Kräfte der Branche sind, die hier schalten und walten und eventuell bald wieder Dividenden einführen.
Man könnte meinen, dass hr-swiss.ch mit Personalvermittlungs­diensten ebenfalls dazu beiträgt, aber es handelt sich «nur» um einen Dachverband.

Übrigens: Unter → personal-swiss.ch findet man die Botschaften der Veranstalter der jährlich wiederkehrenden Fachmesse für Personalmanagement. Das englische Wort personal bedeutet ja: persönlich; Personal [das; -s] wäre personnel oder eben human resources (wen kümmerts, dass das nach humanen Ressourcen klingt). Also ist es ein bisschen schwierig, die Sprachrege­lung zu erkennen. Wenn eine englische Zeitung eine Rubrik «Personal(s)» hat, dann finden sich dort Kontakt-, aber keinesfalls Stellenanzeigen. Das erinnert möglicherweise an den Aufbruch ins Zeitalter des Personal­computers, wie der PC zu Beginn irrtümlicher­weise genannt wurde.

Wer schon je in einem amerikanischen Gebäude mit öffentlich zugänglichem Erdgeschossatrium gewesen ist, kennt diese gelben Warnschilder mit der Aufschrift «Caution! Wet Floor». Das ist versicherungstechnisch unerlässlich, wenn eine Reinigungsequipe den Marmorboden nass aufnimmt. «Obacht! Der Fussboden ist glitschig» würde das ungefähr heissen. Ich habe schon beobachtet, dass solche Schilder wochenlang stehen gelassen werden, weil ja die Besucher auch bei trockenem Boden auf die Schnauze fallen könnten, und so sind allfällige Millionenklagen auf Schadenersatz zum vornherein entkräftet.
Als ich dann im Internet die URL → swisscaution.ch entdeckte, wollte ich natür­lich umgehend wissen, ob die Firma Schilder herstellt oder Gebäude reinigt. Sie macht beides nicht, sondern vorfinanziert Mietzins-Garantien, die in der Ostschweiz auch Depots oder Kautionen genannt werden. Doch «caution» ist in der Westschweiz der unbestritten gängige Begriff dafür. Garantie de loyer heisst das auch noch. Interessant ist die Wortkons­truktion deswegen, weil «swiss» aus dem Englischen kommt und «caution» hier aus dem Französischen. Das eröffnet ganz neue Pers­pektiven. Swissôtel gehört übrigens auch in diese Kategorie.

Ganz anders als erwartet kommt die Website → swisswater.com the­matisch daher. Genau genommen gehts um kanadisches Wasser, bzw. überhaupt nicht um in Flaschen abgefülltes Nass. Lassen Sie sich überraschen!
Nicht überraschend ist das Thema bei → swiss-meat.com, einer Website, die von Proviande, der Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft, aufgelegt wird. Schweizerfleisch.ch wäre halt so unsäglich lang. Seltsam ist ja immerhin die Endung .com, weil swissmeat.ch noch frei wäre.

Zum Schluss noch ein Wort zum Thema vermeintliche Verstösse gegen das Marken- und Wappenschutzgesetz. Als Beispiel bietet sich → swissmeats.com an. Die Domain gehört der Swiss Meat & Sausage Company in Swiss, Missouri, die mit etwa 15 humanen Ressourcen (Abk.: hr) der grösste Arbeitgeber in diesem Weiler an der Highway 19 ist.
Es ist kaum anzunehmen, dass die Metzgerei Fleisch aus der Schweiz importiert, aber in diesem Fall ist das auch unerheblich, weil Swiss hier ja keine Herkunftsbezeichnung ist, sondern der Ortsname. Man stelle sich vor, es gelänge, etwa in Rumänien eine Ortschaft mit dem Namen Swiss zu gründen. Das könnte enorme Auswüchse verursachen, die vielen Anwaltskanzleien mindestens ein Jahrhundert lang Vollbe­schäftigung bescheren würden. Es gibt übrigens in West Virginia, North Carolina und Wisconsin drei weitere amerikanische Ort­schaf­ten, die Swiss heissen.